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Ich knüpfe an, wo ich vor zwei Tagen aufgehört habe: bei Putins Russland und der Gefahr, die davon ausgeht.
Wie gross ist Russlands imperialer Appetit? Zwischen der Verhinderung einer NATO-Osterweiterung in die Ukraine und einem Durchmarsch bis zum Atlantik liegt ein weites Feld von Szenarien.Erinnern wir uns, dass in den 90er Jahren sogar eine NATO-Mitgliedschaft Russlands diskutiert wurde. Es gab eine «Partnerschaft für den Frieden». Dass sie scheiterte, hat nicht nur Putin auf dem Gewissen. Aber spätestens mit der Annektierung der Krim war sie tot. Seither, lautet eine Theorie, träume Putin von einer Rückkehr zur Rolle als Weltmacht – auf Augenhöhe mit dem Westen. Der Ukraine-Krieg und Donald Trump ebneten ihm diesen Weg.
Dass die Ukraine reich an Mineralien und Energie ist, gibt Russlands Aggression auch ein wirtschaftliches Motiv. Mit dem ukrainischen Korn und Speiseöl hätte Putin viel Macht auf dem Weltmarkt für Nahrung. Ausserdem würde er seine Hegemonie im Schwarzen Meer ausbauen, wenn er die ukrainische Küste kontrollierte.
Schliesslich ist da noch das Szenario «territoriale Wiederherstellung der UdSSR» (oder gar des Warschauer Pakts). Ich halte es für unwahrscheinlich. Aber ich bin sicher kein Russlandkenner. Für mich ist es zuerst die Heimat Tschechows und Dostojewskis. Um Russland wirklich zu verstehen, sagte mir ein Freund, müsse man Lew Tolstoi lesen.
Für tausend Seiten «Krieg und Frieden» fehlt mir gerade die Zeit. Aber es gibt die kurze Erzählung «Wieviel Erde braucht der Mensch?». Darin schildert Tolstoi das Unglück eines russischen Bauern, der immer weiter von der heimatlichen Scholle wegzieht, sich immer grössere Ländereien aneignet, immer reicher wird, um am Ende alles zu verlieren und mit dem Leben zu bezahlen.
Das ist keine Weissagung. Mir aber hilft das tolstoische Gleichnis, nicht in Panik zu verfallen, was Russlands Imperialismus angeht.
Fortsetzung folgt.
Bild: 27. Mai 1997 Unterzeichnung der Partnerschaft für den Frieden. Quelle: NATO